15 Iterierte Funktionssysteme
Contents
Nachdem wir letzte Wochen das Mandelbrot und den Baum des Pythagoras gemalt haben, wollen wir heute weitere Fraktale produzieren.
Das Ziel
0. Programm aufsetzen
Das kennst du schon: Ein neues Kotlin-Projekt anlegen und das Hauptprogramm ausfüllen, etwa so:
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0.1 Komponente zum Malen
Auch diesen Teil solltest du schon einmal gesehen haben. Wir fangen etwa so an:
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Also die Hälfte davon sollte dir bekannt vorkommen. Rect
stellt ein (axenparalleles) Rechteck dar, mit dem sowohl die wahre Größe des Fraktals size
(engl. für Größe) als auch die Umrechnung von virtuellen Koordinaten in Bildschirmkoordinaten erfolgt (px
und py
).
Mit paint
wird wieder etwas gemalt. Das Malen besteht darin, dass wir 10% der Anzahl maximal möglicher Punkte im Fenster berechnen (einer nach dem anderen) und diese dann im Fenster als kleine Quadrate eingezeichnet werden. D.h. dass wir für größeres Fenster mehr Punkte berechnen (und bei kleinerem Fenster uns die Arbeit sparen).
Interessant ist, dass wir die Klasse selbst noch initialisieren müssen: Das geschieht in der Methode init
(Achtung: ohne Klammern ()
). Zunächst rechnen wir eine handvoll Abbildungen aus, dann ein paar Wahrscheinlichkeiten ps
, anschließend initialisieren wir den Punkt p
, indem wir 10'000 mal iterieren. Am Schluss bestimmen wir noch die Größe (bbox
ist englisch für bounding box und heißt umspannendes Rechteck).
1. Lineare/Affine Abbildungen
Iteriertes Funktionensystem heißt, dass wir eine hanvoll Abbildungen der Ebene auf sich selbst haben, die dann in zufälliger Reihenfolge auf einen Punkt angewendet werden. Wenn der Punkt im Fraktal liegt (z.B. nach ca. 10'000 Anfangs-Iterationen), dann hüpft er zufällig durch das ganze Fraktal. Man kann das Fraktal erkennen, wenn man den Weg des Punktes einzeichnet.
Affine Abblidungen
Im einfachsten Fall entscheiden wir uns dafür, affine/lineare Abbildungen zu verwenden. Wenn wir den Punkt in der Ebene mit 2 Koordinaten $p=(x, y)$ beschreiben, dann ist eine affine Abbildung eine affine Kombination dieser 2 Koordinaten: $$ (x,y) \mapsto (a_{00}x+a_{01}y+b_0, a_{10}x+a_{11}y+b_1) $$
In der Schule nennt man dies manchmal lineare Abbildung, da der 1-dimensionale Fall $x\mapsto ax+b$ eine Gerade darstellt (Anstieg $a$ und kreuzt die y-Achse bei $y=b$), aber das ist nicht richtig, weil linear eigentlich heißt, dass $f(x+x’)=f(x)+f(x’)$ und $f(cx)=c\,f(x)$. Das wäre nur für $b=0$ erfüllt.
D.h. eine affine Abbildung hat 6 Parameter und man muss diese 2 Formeln verwenden. Das sieht in Kotlin etwa so aus:
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Ich habe noch 2 weitere Operationen programmiert: Zum einen chain
, eine Verkettung zweier solcher Abbildungen und zum anderen det
die Determinante der Abbildung. Die Determinante gibt an, wie groß das Bild wird (im Vergleich zum Original), d.h. eine Determinante von $>1$ bedeutet, dass die Abbildung (insgesamt) vergrößert, eine Determinante zwischen 0 und 1, dass sie verkleinert, eine Determinante $<0$, dass sie umkehrt und eine Determinante von $1$,
dass sie insgesamt in Originalgröße abbildet. Dabei kann es aber sein, dass sie in manchen Richtungen verkleinert und dafür in anderen Richtungen vergrößert.
Die einfachste Abbildung ist $1\!\!1=$Aff.id
, die Identitätsabbildung, die jeden Punkt auf sich selbst abbildet. Die nächsteinfachen sind die Verschiebungen (engl. translations), für die man eine Verschiebung in $x$- und in $y$-Richtung angibt. Etwas trickreicher sind die Drehungen rotate(alpha)
, die alle Punkte um den Ursprung $(0, 0)$ (engl. origin
) um einen Winkel $\alpha$ drehen.
Trickreicher sind auch die Spiegelungen flipX
und flipY
, die jeweils die $x$- oder die $y$-Achse umkehren, die jeweils andere Achse aber so belassen. Die letzten beiden haben beide Determinante -1, alle anderen Determinante 1.
Es gibt jedoch auch noch andere affine Abbildungen, die aber hier nicht alle einzeln explizit konstruiert werden sollen. Stattdessen gibt es eine Funktion nextAff()
mit der man eine zufällige affine Transformation erzeugen kann. Dazu braucht man lediglich einen Zufallsgenerator, den wir am Anfang der Klasse (val random = Random(seed)
, engl. für Zufall) angelegt haben. Da der Computer keinen echten Zufall erzeugen kann, gibt man einen Startwert (engl. seed
Futter/Samen) vor und von dort an springt der Generator chaotisch durch die ganzen Zahlen.
Der Ausdruck random.nextDouble()
liefert eine zufällige reelle Zahl zwishen 0 und 1. Wenn man die mit 2.2 multipliziert und 1.1 abzieht, erhält man eine zufällige reelle Zahl zwischen -1.1 und 1.1. Entsprechend funktioniert das mit 20*random.nextDouble()-10
.
2. Fraktale erzeugen
Wenn man statt einer affinen Abbildung gleich 2 oder 3 verwendet, dann kann man ein Fraktal erhalten. Dazu muss aber jede Abbildung kontrahierend sein $-1<\mathrm{det}<1$. Man kann das Fraktal rekonstruieren, indem man zufällig einige dieser Transformationen anwendet. Um die Fläche des Fraktals gleichmäßig abzulaufen, sollte man die Transformation $A$ mit einer Wahrscheinlichkeit $p(A)\sim|\det A|$ wählen. Insgesamt müssen sich alle Wahrscheinlichkeiten zu 1 addieren. Das kann man so erreichen:
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Wie gesagt, wir müssen sicherstellen, dass jede affine Abbildung $f$ eine Determinante vom Betrag (engl. absolute value) $< 1$ hat. Dann weisen wir zunächst jeder Abbildung den Betrag der Determinante zu und schließlich teilen wir noch durch die Summe der Determinanten und bilden die kumulativen Summen, d.h. wenn die Determinanten $0.9$, $0.6$ und $-0.5$ sind, dann wird zunächst $[0.9, 0.6, 0.5]$ daraus, was sich zu $2.0$ summiert, also ist der Skalierungsfaktor $1/2.0=0.5$ und somit auf $[0.45, 0.3, 0.25]$ abgebildet und anschließend zu $[0.45, 0.75, 1.0]$ kumuliert. Die Höhe der jeweiligen Stufen ist proportional zum Betrag der jeweiligen Determinante und die Gesamthöhe ist 1. Offenbar ist das nicht Bestandteil der Kotlin Standard-Bibliothek. Deshalb steht am Ende, wie man das für reelle Zahlen berechnet.
Die Iteration wählt nun eine zufällige affine Abbildung aus, indem zunächst eine Zahl zwischen 0 und 1 gewählt wird (gleichverteilt) und anschließend die entsprechende Stufe gefunden wird. Als letzten Schritt muss man nur noch den Punkt pt
mit dieser affinen Abbildung abbilden (engl. map
).
3. Größe des Fraktals abschätzen
Das ist komplizierter als es erst aussieht: Leider kann man aus den 2–3 Transformationen nicht einfach abschätzen, wie groß das Fraktal am Ende wird. Stattdessen kann man jedoch einfach einige Punkte des Fraktals ausrechnen und schauen, bis wohin die wachsen. Das kann man etwa so tun:
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Wir berechnen einfach 10'000 Punkte und schauen für jeden von diesen, ob die x-Koordinate kleiner als $x_0$ ist, dann wird $x_0$ aktualisiert, ob $x_1$ kleiner als die x-Koordinate ist, dann wird $x_1$ aktualisiert, dann nochmal das Entsprechende für die y-Koordinate und $y_0$ und $y_1$. Das Ergebnins ist, dass $x_0$ die kleinstmögliche x-Koordinate der 10'000 Punkte ist, $x_1$ die größtmögliche, $y_0$ die kleinstmögliche y-Koordinate und $y_1$ die größtmögliche. Damit ist auch klar, dass das umspannende Rechteck die Breite $\Delta x = x_1-x_0$ und die Höhe $\Delta y = y_1-y_0$ hat. Tatsächlich sollten wir aber nicht zu knapp schätzen, da ein paar wenige Punkte später noch außerhalb dieser Grenzen liegen können. Also geben wir lieber 10% in x- und in y-Richtung dazu ($1.1\Delta x$, $1.1\Delta y$). Damit die Mitte in der Mitte bleibt, müssen wir den linken Punkt um $0.05\Delta x$ nach links und den unteren Punkt um $0.05\Delta y$ nach unten verschieben.
9. Selber Probieren
So wie das Programm geschrieben ist, erzeugt es jedes Mal ein zufälliges anderes Fraktal. Wenn du immer das gleiche Fraktal erzeugen willst, musst du den Zufallsgenerator immer gleich initialisieren, z.B. so:
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Was musst du am Programm ändern, wenn es 4 affine Transformationen statt 3 verwenden soll? Wie kannst du die Farbe der Punkte von schwarz auf blau (engl. blue
) ändern?
Wie kann man das Programm dynamisch machen? Z.B. alle 1s (Thread.sleep(1000)
wartet 1s) das Iterierte Funktionssystem neu initialisieren (mit einem anderen Wert) und dann das Fenster nochmal neu sichtbar machen.
9.3 Das Log quasi Fraktal
Statt einer affinen Iteration kann man auch (den komplexen) Logarithmus verwenden. Das geht etwa so:
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Die Funktion ln
(aus dem Paket “kotlin.math”) berechnet den (reellen) natürlichen Logarithmus. Die Funktion atan2(y, x)
(auch aus dem Paket “kotlin.math”) berechnet den Winkel zwischen einem Strahl vom Ursprung zum Punkt (x, y) zur x-Achse. Insgesamt ist das der komplexe Logarithmus des Punktes (pt.x, y)
. Der komplexe Logarithmus ist nicht eindeutig, sondern hängt davon ab, wie oft man um den Ursprung läuft. Beispielsweise hat der Punkt (1,1) den Winkel 45º oder 360º+45º oder 720º+45º oder … oder -360º+45º oder … . Damit die Punkte nicht beliebig weit außerhalb des Bildschirms landen, wählen wir immer den Hauptwert (atan2
), aber verschieben den alten Punkt pt
vor der Berechnung um $k*360º$ für eine zufällige ganze Zahl $k$. Da der Computer nicht in Grad sondern im Bogenmaß rechnet, muss man 2*PI
(auch aus dem Paket “kotlin.math”) schreiben statt 360º. Noch etwas: der Logarithmus ist unendlich am Urspung. Deshalb darfst du pt
nicht mit Point2D.origin
initialisieren. Wähle stattdessen irgendeinen anderen Punkt, etwa Point2D(0.1, 1.0)
. Wahrscheinlich musst du auch das Quadrieren (engl. square) noch implementieren:
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Leider gibt es auf den ganzen Zahlen keine Gleichverteilung. Außerdem wird das Fraktal unendlich groß, wenn man für $k$ zu oft große Zahlen wählt. Stattdessen wählen wir zuerst eine normal verteilte reelle Zahl random.nextGaussian()
und runden diese dann auf eine ganze Zahl roundToInt()
. Wahrscheinlich musst du noch die Methode nextGaussian()
implementieren:
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Das ist eine Erweiterungsfunktion der Klasse “kotlin.Random”, so wie wir das damals bei “Person"en zum Heiraten (fun Person.marry(...)
) gemacht haben.
Viel Spaß beim Probieren!